Buch des Monats – Archiv

Buch des Monats April 2017

Nausicaa Marbe: Schmiergeld

„Schmiergeld“ spielt in der Zeit der Wirtschaftskrise von 2008, die auch in den Niederlanden für einige Risse in den Fassaden gutbürgerlicher Existenzen gesorgt hat. Einen Blick hinter diese Fassaden erhält man durch den Ich-Erzähler Job van Emmerik, ein Opfer der Krise und seiner eigenen Rechtschaffenheit, zumindest wie er es sieht. In den Zeiten des billigen Geldes konnte er sich über gut gefüllte Auftragsbücher freuen. Mit seiner Frau Gaby, einer Liebe auf den ersten Blick, und dem pubertieren Zwillingspärchen Leon und Tara lebt er in einem geräumigen Haus im beschaulichen Haarlem, einer Stadt mit 150.000 Einwohnern unweit von Amsterdam. Die Nachbarschaft funktioniert hier noch gut, man kennt sich, feiert gemeinsam, beobachtet sich und bleibt vor allem unter sich. Jeder hier hat ein bequemes Leben. Die Wirtschaftskrise zerstört diese Idylle für die van Emmeriks nachhaltig. Das Architekturbüro geht pleite, Job arbeitet dann noch eine Zeit lang als nachhaltig. Das Architekturbüro geht pleite, Job arbeitet dann noch eine Zeit lang als Stadtbaumeister in seinem Beruf. Dort stolpert er über Unregelmäßigkeiten und wird von politischer Seite her kaltgestellt. Er steht also ohne Einkommen da und die gesamte Familie muss vom Ersparten leben. In dieser neuen Lebenssituation erhält das sonst so harmonische Familienleben die ersten Risse. Mitten in diesem Unglück holt Job die Vergangenheit ein und es stellt sich heraus, dass dieser deklarierte Familienmensch für sich selbst mit einer Selbstverständlichkeit einige Privilegien in Anspruch genommen hat, die ihn in einem nicht so guten Licht dastehen lassen.

Ab hier beginnt dann der eigentliche Thriller: Judith Faber, die Job als Gretta Luzerne, Tochter eines Immobilienmagnaten aus Bukarest, kennt und mit der er einige Jahre  zuvor eine heiße Affäre hatte, kehrt in sein Leben zurück. Was führt sie im Schilde? Als dann ein Ermittler der Kripo auftaucht und nach Unterlagen aus der Schmiergeldaffäre im Rathaus fragt, nimmt die Geschichte eine unverhoffte Wendung.

Der Roman „Schmiergeld“ ist weit mehr als ein handelsüblicher Thriller, in dem geblutet oder gestorben wird. In einer Gesellschaft, in der materieller Wohlstand an oberster Stelle steht, ist der gesellschaftliche Tod fast identisch mit dem echten. Die Erzählerin hat ein gutes Gespür für die Abgründe, die unter der Mittelschichtidylle lauern.

Seine Spannung bezieht der Roman aus der Frage, was Judith alias Gretta im Schilde führt und wie Job sich dagegen wehren kann. Es gelingt Nausicaa Marbe gut, trotz ihrer beschreibungsfreudigen Erzählweise den Spannungsbogen straff zu halten. Und nebenbei noch zu vermitteln, dass ihre Heimatstadt Bukarest unter dem Diktator Ceauşescu keineswegs vollständig zerstört wurde, sondern nach wie vor schöne Ecken hat..

Münster, im April 2017                                                                                         Angela Tieben

NAUSICAA MARBE WURDE 1963 IN RUMÄNIEN GEBOREN, LEBT ABER SEIT IHREM 18. LEBENSJAHR IN DEN NIEDERLANDEN. DER ROMAN „SCHMIERGELD“ WURDE ALS „BESTER NIEDERLÄNDISCHER THRILLER 2015“ AUSGEZEICNET.


Buch des Monats März 2017

Petina Gappah: Die Farben des Nachtfalters

Die Township von Mufakose in Simbabwe: Hütten, Dreck, Lärm. Weit weg von den Siedlungen der Weißen leben hier Schwarze auf engstem Raum; so auch die Familie von Memory, die Heldin des Romans. Ein kluges, sensibles Mädchen. Und ein Albino, eine „weiße Schwarze“, die nirgends dazuzugehören scheint: Mit neun Jahren wird Memory von ihren Eltern an einen reichen Weißen namens Lloyd verkauft – so meint sie, sich zu erinnern. Etliche Jahre später ist Lloyd tot und Memory des Mordes angeklagt. Sie sitzt in einer Todeszelle in Simbabwes berüchtigtem Gefängnis Chikurubi.

Bedrückend realistisch wird er vorgestellt, dieser Ort, an dem Gewalt, Folter und katastrophale Hygiene-Bedingungen zum Alltag gehören. Memory versucht, für eine Reporterin ihre Lebensgeschichte aufzuschreiben und damit ihre Unschuld zu beweisen.

Die Autorin Petina Gappah zeichnet die Biografie der jungen Frau Schritt für Schritt nach. Sie erzählt in melancholischem, sinnlichen Ton, nachvollziehbar und packend. Dabei wechselt sie elegant zwischen verschiedenen Zeitebenen, Schauplätzen und Handlungssträngen – so dass sich die Ereignisse verdichten und allmählich ein klares Bild ergeben. Denn mit Memorys Gedächtnis ist das so eine Sache. Sie merkt immer deutlicher, dass sie ihren eigenen Erinnerungen nicht trauen kann. Nach und nach bekommt etwa das Bild von der geliebten und sehnlich vermissten Mutter einen Riss.

Genial gelingt es Petina Gappah diesen dramatischen Bogen zu spannen: erst mit dem Abstand von zwanzig Jahren lernt die Ich-Erzählerin, sich von ihren naiven Kindheitserinnerungen zu lösen und die Puzzleteile um Lloyds Tod zusammenzusetzen. Vielleicht geschieht das etwas zu vorhersehbar, aber der Leser bleibt am Ball, hofft auf Antworten – und wird nicht enttäuscht. Gleichzeitig ist das Buch ein detailliertes und stimmungsvolles Portrait des postkolonialistischen Simbabwe: eine Welt zwischen etlichen Sprachen, zwischen Tradition und Moderne, eine Welt mit fanatisch Abergläubigen, aber auch sympathischen Hoffnungsträgern wie die Protagonistin Memory.

Münster, im März 2017                                                                                         Angela Tieben

PETINA GAPPAH GEBOREN 1971 IM DAMALIGEN RHODESIEN, HEUTE ZIMBABWE, STUDIERTE JURA AN MEHREREN UNIVERSITÄTEN IM IN- UND AUSLAND. SIE LEBT IN GENF. „DIE FARBEN DES NACHTFALTERS“ IST IHR ERSTER ROMAN.