Buch des Monats März 2015
O’Donnell, Lisa: Bienensterben
Es ist Heiligabend in Glasgow, als die beiden Schwestern Marnie und Nelly im Garten ihre Eltern heimlich begraben. Ihre Trauer über deren Tod ist nicht sehr groß, denn die beiden waren drogenabhängig und Alkoholiker und haben sich kaum um ihre Kinder gekümmert. Keiner soll erfahren, dass ihre Eltern gestorben sind, da Marnie fürchtet, dass sie beide getrennt werden und in ein Heim kommen.
Marnie und Nelly sind seit ihrer frühesten Kindheit aufeinander fixiert und kümmern sich umeinander. Mittlerweile ist Marnie fünfzehn und Nelly zwölf Jahre alt.
Die beiden Mädchen sind sehr verschieden: Marnie, frühreif und temperamentvoll und abgebrüht, ergreift die Initiative, Nelly, hochbegabt und sensibel, unterstützt ihre große Schwester. Und dann gibt es noch Lennie, den wegen seiner sexuellen Orientierung geächteten Nachbarn, der die beiden unterstützt und sich um sie kümmert, als er merkt, dass die Mädchen allein sind. Bei ihm lernen Marnie und Nelly erstmals ein von Liebe, Fürsorge und Regeln geprägtes Familienleben kennen. Aber auch das scheint nicht von Dauer zu sein…
Mit großem Einfühlungsvermögen und finsterem Humor erzählt Lisa O´Donnell die verstörend komische Geschichte dreier „verlorener Seelen“. In einer provokanten Mischung aus Trotz, Humor und Wut schleudert uns Marnie ihre Situation entgegen. Abtrünniges trifft auf schwarzen Humor und auf den trotzigen Glauben an die Fähigkeit der Mädchen, sich herauszuarbeiten aus einer tragischen Vergangenheit in eine erträgliche Zukunft.
Es ist eine über weite Strecken erschütternde Geschichte über Kinder, die ohne Liebe und in Armut aufwachsen, von ihren Eltern vernachlässigt werden, aber mit Eigeninitiative und dank Hilfe es dennoch schaffen. Alle Achtung!
Lisa O´Donnell lässt die drei Hauptfiguren des Romans die Ereignisse aus ihrer eigenen Sicht erzählen und kommentieren, wobei die jeweiligen Kapitel kurz gehalten sind. Aber trotz der ernsthaften Thematik schafft es die Autorin, besonders durch den lockeren Tonfall der Mädchen, die Situationen humorvoll und gut lesbar darzustellen.
Es ist ein wunderbares und zu Herzen gehendes Buch.
Münster, im März 2015 Angela Tieben
LISA O’DONNELL IST 41 JAHRE ALT UND ERHIELT 2013 FÜR IHREN DEBÜTROMAN „BIENENSTERBEN“ DEN COMMONWEALTH WRITER’S PRIZE. SIE LEBT MIT IHREN ZWEI KINDERN IN SCHOTTLAND..
Buch des Monats Januar 2015
Parrett, Favel: Jenseits der Untiefen
Die Brüder Joe, Miles und Harry wachsen an der schroffen Küste von Tasmanien in Australien auf. Die wirtschaftliche Situation der Familie ist schwierig. Der Vater ist Fischer und ein Trinker und macht seinen Söhnen das Leben zur Hölle. Das Schicksal und der Verbleib der Mutter wird totgeschwiegen.
Jeder der drei Brüder hat einen ganz eigenen Rettungsanker:
Für Joe, den Ältesten, sind es die Pläne seiner Flucht fort von zu Hause in ein eigenes Leben. Für Miles, den mittleren, ist es die Freiheit beim Wellenreiten und das Umsorgen seines kleinen Bruders. Und für Harry, den jüngsten, sind es die gesammelten Strandschätze und seine Freundschaft zu einem alten Mann und seinen Hund.
Doch es gibt ein dunkles Kapitel in der Geschichte der Familie und es kommt der Tag, an dem sich die Katastrophe unvermeidlich ihren Weg bahnen wird.
„Jenseits der Untiefen“ erzählt auf den ersten Blick die Geschichte einer Familie, die nach dem Tod der Mutter aus den drei Söhnen und dem Vater besteht. Ab und zu schaut die Tante, die Schwester der Mutter, vorbei, kauft etwas ein oder nimmt Harry mit zu einer Veranstaltung. Sie betritt jedoch nicht das Haus, da sie dem Vater nicht begegnen will. Der ist gefährlich und unberechenbar, besonders, wenn er Alkohol getrunken hat. Jeder der drei Brüder leidet unter den Verhältnissen und droht daran zu zerbrechen. Das wird von der Autorin präzise und mit großem psychologischen Feingefühl aufgezeigt.
„Jenseits der Untiefen“ ist ein starkes, kraftvolles Buch über die Schrecken einer durch Gewalt verdorbenen Kindheit und ein tief bewegender Roman über unverbrüchliche Geschwisterliebe.
Es ist spannend und bedrohlich zugleich, da im Hintergrund stets die Gefahr durch den Vater droht.
Favel Parrett kann sich sehr genau in die Jungen hineinversetzen und dies auch hervorragend beschreiben.
Münster, im Januar 2015 Angela Tieben