Buch des Monats – Archiv

Adriana Altaras: Die jüdische Souffleuse

Schmissig und und flott erzählt die Autorin über eine jüdische Souffleuse, die sie auf einer ihrer Theatertourneen kennenlernt.

Kann es chaotischer durcheinandergehen als auf diesen Opernproben? Das Ensemble zerstritten, die Intendantin alkoholkrank, der Dirigent abwesend, die Diva verstummt – Adriana  Altaras, die als ihre eigene Ich-Erzählerin mitten ins Geschehen springt, glaubt schon jeglichen Wahnsinn erlebt zu haben als Regisseurin an deutschen Bühnen. Munter kämpft sie sich durch die Proben eines Musiktheaters in der Provinz; Mozarts „Entführung aus dem Serail“ steht auf dem Programm. Doch dann betritt  Susanne oder besser „Sissele“  die Szene, eine Frau wie ein Geist, fast durchscheinend, nuschelnd und von nervtötender Präsenz: die jüdische Souffleuse. Sie tischt der

zunächst etwas gelangweilten Adriana eine Geschichte auf, von der man nicht recht weiß: ist sie erfunden oder entspricht sie der Wahrheit. Sie bittet Adriana um Hilfe bei der Suche nach ihren Verwandten, die nach dem Zweiten Weltkrieg in alle Welt verstreuten wurden. Nach und nach wird die Erzählerin mehr in den Bann gezogen und fühlt sich emotional angerührt. Eingestreut in die Alltagserlebnisse der Regisseurin nimmt die Geschichte einen sehr spannenden und ungewöhnlichen Verlauf.

In lockerer, leichter Manier rollt Adriana Altaras das Leben dieser an den Folgen des Zweiten Weltkriegs immer noch leidenden Mitbürgerin Sissele auf. Jüdisches Leben, Verfolgung und drastische Schilderungen aus den KZs geben der Erzählung Tiefe und zeigen zugleich, wie schnell alles in Vergessenheit zu geraten droht. Herzenswärme und Mitgefühl ziehen Adriana hinein in die Suche, die auf ungewöhnlichem Wege zu einer glücklichen Lösung führt.

Es liegt eine Stärke in der Art des Formulierens/des Schreibens der Autorin, eine Art schwarzen Humors, dies mit Witz und Wärme. Das tut der Geschichte sehr gut. Dieses Buch hat eine einfache und gut lesbare Sprache, aber auch jede Menge Inhalt, der zum Nachdenken anregt. Einerseits erzählt Frau Altaras uns gewisse Feinheiten in der Welt einer Theaterregisseurin, vom Entstehen/Werden eines Theaterstückes; gleichzeitig  wird ein Blick auf den Holocaust geworfen, auch darum wie viel Einfluss das Vergangene auf das heutige Leben haben soll/darf. Und es geht auch um die Folgegeneration der Juden nach dem Weltkrieg und ihr Leben mit dieser Vergangenheit. Eine sehr interessante Geschichte.

Münster, im Februar 2020                                                                                    Angela Tieben

Adriana Altaras wurde 1960 in Zagreb geboren, lebte ab 1964 in Italien, später in Deutschland. Sie studierte Schauspiel in Berlin und New York, spielte in Film- und Fernsehproduktionen und inszeniert seit den Neunzigerjahren an Schauspiel- und Opernhäusern. Sie erhielt zahlreiche Auszeichnungen, u.a. den Bundesfilmpreis, den Theaterpreis des Landes Nordrhein-Westfalen und den Silbernen Bären für schauspielerische Leistungen. 2012 erschien ihr Bestseller »Titos Brille«. 2014 folgte »Doitscha – Eine jüdische Mutter packt aus«, 2017 »Das Meer und ich waren im besten Alter«. Adriana Altaras lebt mit ihrer Familie in Berlin.